Montag, 9. Mai 2016
Religionsfreiheit
Gerade lese ich eine Schlagzeile: „Hassobjekt Moschee“. Wieder einmal Demonstrationen gegen den Bau von Moscheen. Bei der Diskussion um die Genehmigung für den Bau oder die Einrichtung einer Moschee fällt dann häufig das Stichwort „Christliches Abendland“. Dazu treten dann die üblichen Ängste: man wird vom Islam überrollt, verdrängt, erobert.
Ich kann dazu nur sagen, dass das völliger Schwachsinn ist.
1. „Christliches Abendland“ sind wir nur so lange, wie wir unsere „Kultstätten“ (= Kirchen) auch nutzen. Und da sieht es schon sehr mau aus. Es gibt schon eine ganze Reihe von Kirchen, die geschlossen, abgerissen oder umgewidmet wurden, weil sie kaum oder gar nicht mehr als gottesdienstlicher Ort genutzt wurden. Ich sehe allerdings den Gottesdienst als ein zentrales und wesentliches Element christlicher Kultur an. Da komme man mir bitte auch nicht mit der Behauptung, wenn der Gottesdienst interessanter oder zeitgemäßer wäre (Stichwort: Qualität des Gottesdienstes), würden auch mehr Menschen in die Gottesdienste kommen. Seit rd. 50 Jahren versucht man sich mit neuen Gottesdienstmodellen, die teilweise nahezu nichts mehr mit Gottesdienst zu tun haben (kein Gebet, keine Schriftlesung, keine geistlichen Lieder), und seit rund 50 Jahren ist der Gottesdienstbesuch drastisch zurück gegangen (abgesehen vom massiven Mitgliederschwund, den alle Kirchen betreffen). Wenn wenigstens die verbleibenden Kirchenmitglieder regelmäßig (muss ja nicht jeden Sonntag, sollte aber schon wenigstens jeden zweiten Sonntag sein) in den Gottesdienst gingen, könnte man schon von einem christlichen Abendland sprechen. Also: wir sind ein säkulares Abendland, Punkt.
2. „Der Islam“ überrollt uns nur insofern, als wir uns von ihm überrollen lassen. Das können wir aber nicht mit der Verweigerung von Baugenehmigungen verhindern, sondern damit, dass wir uns unseren eigenen Glauben („christliches Abendland“) bewusst machen und daran festhalten. Dann kann „der Islam“ auch nichts erreichen. In dem Zusammenhang wäre es gut, mal die sieben Sendschreiben zu lesen, die man zu Beginn der Offenbarung des Johannes findet, denn in denen geht es genau darum, wie man sich in der Auseinandersetzung mit Andersgläubigen bewährt.
3. „Der Islam“ verdrängt uns sicher nicht, denn er ist eine Religion. Sie basiert auf Glauben. Es ist ausgesprochen unwahrscheinlich, wenn nicht gar unmöglich, dass die Verfassung der BRD oder auch Europas ausgetauscht wird gegen eine Verfassung, die unterm Strich den Islam als einzig wahre und richtige Religion propagiert. Was allerdings auch nicht geschehen darf, ist, dass wir den Islam verdrängen. Denn durch Verdrängen werden Konflikte nicht gelöst, sondern bestenfalls verschoben und damit anderen aufgebürdet. Eine friedvolle Auseinandersetzung mit „dem Islam“ ist nötig, wird aber schwer, denn es gibt viele verschiedene Strömungen innerhalb des Islam, die sich untereinander auch nicht immer anerkennen oder gar untereinander verfeindet sind. Das Gleiche gibt es übrigens auch innerhalb der Christenheit. Es gibt (leider) nicht die „eine Stimme“ der christlichen Kirche, oder, noch allgemeiner, der Christenheit. Vielmehr gibt es auch hier ein Spektrum, das von Extremisten bis zu Libertinisten reicht.

Es wird mit Sicherheit nicht helfen, wenn Schweineköpfe vor Moscheen oder an Moschee-Bauplätzen abgelegt werden. Es zeigt vielmehr, dass die deutsche Gesellschaft nicht integrationsfähig, sondern im Gegenteil ausgrenzend ist. Und das riecht ausgesprochen deutlich nach der Zeit von vor 71-84 Jahren. Solche Zeiten darf es nicht mehr geben.
Die Religionsfreiheit ist ein wichtiges Menschenrecht, das nicht nur den christlichen Kirchen vorbehalten sein kann und darf. Dass dieses Recht nicht in allen Ländern gewährt wird, steht auf einem anderen Blatt und darf nicht dazu führen, dass wir ebenso einschränkend und eingrenzend handeln. Das wäre ein massiver Rückschritt in der Entwicklung der Menschheit.