Freitag, 10. April 2020
Karfreitag - Stille Tage
Von je her hat die Kirche die Tage Karfreitag und Karsamstag als „Stille Tage“ bezeichnet. Damit verband sich das Verbot von Amtshandlungen (Taufen, Trauungen, aber auch Beerdigungen) an diesen Tagen, und selbstverständlich auch der Verzicht auf jegliche Vergnügungen. Dabei wurde dieser Verzicht in der protestantischen Kirche recht großzügig gehandhabt. Immerhin hatte der Gesetzgeber die „Stillen Tage“ tatsächlich geschützt, so dass Vergnügungen im öffentlichen Raum (auch in Kneipen) untersagt blieben. Zwar durfte man in Kneipen zusammenkommen, aber eben nicht „feiern“. Tanz war untersagt und ist es bis heute.
In den vergangenen Jahrzehnten haben immer mehr Menschen gefordert, dieses Verbot zu lockern bzw. ganz aufzuheben. Angesichts der Tatsache, dass kaum mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland mehr einer Kirche angehört, sei es nicht richtig, den Rest der Bevölkerung derart einzuschränken. Manchmal wurde bewusst und pressewirksam das Tanzverbot gebrochen, um auf diese Problematik hinzuweisen.
Faktisch war es allerdings im Stillen ohnehin schon kaum mehr beachtet worden – man hängte es nur nicht an die große Glocke, wenn man eine Vergnügungsveranstaltung in diesen Tagen plante und dazu einlud.
Der Corona-Virus Covid19 hat nun dafür gesorgt, dass es tatsächlich wieder diese „Stillen Tage“ gibt. Noch ein bisschen stiller, denn eigentlich konnten Kirchen am Karsamstag z.B. noch eine Andacht anbieten, was heute ebenfalls nicht möglich ist. Es wäre zu wünschen, dass sich alle Menschen, aber besonders auch die, die einer Kirche angehören und schon lange nicht mehr über die Bedeutung und Wichtigkeit dieser Stillen Tage nachgedacht haben, diese Zeit nutzen, um sich selbst bewusst zu machen, worum es eigentlich geht.
Gott ist tot – dieser prägnante Satz von Nietzsche müsste eigentlich auch für diese Tage bis zum Ostermorgen gelten, denn wenn Jesus Gottes Sohn und der Trinitätslehre gemäß Jesus kein separater Gott, sondern nur eine Wesensform Gottes, Jesus also Gott selbst, ist, dann ist dieser Satz wahr, zumindest für die Zeit von Karfreitag 15 Uhr (Jesus starb zur 9. Stunde, und die Stunden wurden ab dem Morgen, also 6 Uhr, gezählt) bis zum Ostermorgen vor knapp 2000 Jahren. In den folgenden Jahren wurde auch dies bedacht, wenn man die „Stillen Tage“ beging.
Was bedeutet es für uns Menschen, wenn Gott tatsächlich tot ist?
Die Welt wäre jeder vernichtenden Macht ausgeliefert – auch dem Virus Covid19 (wobei man schon auch mal darauf hinweisen muss, dass nicht jeder, der daran erkrankt, auch stirbt – die Sterblichkeitsrate ist weit niedriger als z.B. bei Pest oder Cholera, und angesichts unserer medizinischen Möglichkeiten im Grunde sogar vernachlässigbar, wenn die Zahl der infizierten Risikopatienten überschaubar bleibt). Es gäbe keine Hoffnung über den Tod hinaus, das Leben wäre sinn- und trostlos.
Sicher, manche finden darin einen Sinn, sich so viele Güter wie möglich zu sammeln, aber an irgendeinem Punkt erkennt (fast) jeder Mensch, dass man so stirbt, wie man geboren wurde: nackt.
Natürlich kann man seinen Reichtum vererben, wenn nicht an die Familie (die es vielleicht nicht gibt), dann an irgendwelche Organisationen. Man kann sich auch ein Denkmal setzen (lassen). Aber was nützt es? Wenn man über die Friedhöfe streift, die schon hundert und mehr Jahre bestehen, und manche der Gräber, die besonders prunkvoll gestaltet sind, betrachtet, wird einem erneut bewusst, wie vergänglich auch jeder Ruhm ist. Wer ist dieser Mensch? Niemand erinnert sich mehr. Einige wenige Ausnahmen, deren Namen in Geschichtsbüchern zu finden sind, gibt es, aber was sind das auf die vielen Milliarden Menschen, die schon gelebt haben?
Die „Stillen Tage“ helfen uns, uns bewusst zu machen, dass das Leben seinen Sinn nicht von dem her bekommt, was wir uns schaffen und was wir leisten, sondern daher, dass wir Geschöpfe sind, deren Schöpfer sich ihnen mit unendlicher Liebe zuwendet. Darum starb er, damit wir leben können, damit der Tod nicht das letzte Wort hat und wir nicht dem Vergessen anheim gegeben werden.
Das Halleluja des Ostersonntags ist wahrhaftig ein Befreiuungsschlag. Es befreit uns von der Knechtschaft des Todes, es offenbart uns Gottes liebevolles Handeln, es schreit: Leben! Leben im Angesicht dessen, der jeden einzelnen mit Namen kennt, und noch mehr: der jeden unserer Schritte weiß und uns schon sah, bevor wir gezeugt wurden.
Aber nicht nur das. Denn der Tod Jesu Christi am Kreuz trägt ja auch eine andere Botschaft: „Für Dich!“ Unsere Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten (Jes 53, 5b).
In der Stille dieser Tage können wir diesen Frieden ein Stück weit erfahren und von hier aus mitnehmen in die Zeit, die vor uns liegt.